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Der Komet

Ich armer Komet in dem himmlischen Feld,
Wie ist's doch so windig mit dir bestellt!
Ich leb' in steten Sorgen,
Mein Licht selbst muß ich borgen...
Ich erscheine nur von Zeit zu Zeit,
Dann muß ich wieder fort in die Dunkelheit.

Frau Sonne die hat mir's angetan,
Sie zieht mich magnetisch zu sich hinan,
Doch kann mir's nie gelingen,
Zu ihr ich aufzuschwingen,
Ich schmachte nach ihr nur aus luftiger Fern',
Denn leider bin ich wirklich ein exzentrischer Stern.

Die Fixstern' all' in bittrem Hohn
Betrachten mich wie einen verlorenen Sohn,
Sie sagen, ich tät' wanken
Und hin und wieder schwanken,
Und wo ich einmal des Wegs gestrichen wär',
Sei nichts als Dunst und Nebel ringsumher.

Die Planeten sehn mich verächtlich an,
Als woll' ich sie durchkreuzen auf ihrer Bahn;
Frau Venus und ihre Schwestern
Tun boshaft mich verlästern:
"Sein Schweif ist zu groß, sein Kern ist zu klein,
Ich möchte kein so mißgestalter Nachtwandler sein!"

So hat man mir einen Leumund gemacht
Als Schwärmer und als Irrgeist, den jeder verlacht;
Und drunten auf der Erden
Verkünden die Gelehrten:
"Es ist an ihm nichts fest, nichts dicht,
Und kreist er bis in Ewigkeit, solid wird er nicht."

Selbst Humboldt, der Greis von forschender Kraft,
Behandelt mich im Kosmos sehr wenig schmeichelhaft;
Treib' ich solch' Schwindelwesen,
Daß man von mir darf lesen:
"Es füllt der Komet, viel dünner denn Schaum,
Mit allerkleinster Masse den allergrößten Raum??"

Aber warte nur, du Sternguckerneid,
Ihr kennt mich noch nicht von der innersten Seit',
Einst werd' ich euch begegnen,
Dann sollt ihr euch besegnen:
Dann fahrt ihr durch mich durch und ich schnupp' euch noch 'was
Und hagl' euch Meteorstein' ins Fernrohrglas.
Text: Victor von Scheffel - Lizenz: Public Domain