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Asphalt

Bestreuet die Häupter mit Asche,
Verhaltet die Nasen euch bang,
Heut gibt's bei trübfließender Flasche
Einen bituminösen Gesang.

- Schwül strahlet die Sonne der Wüste,
Am toten Meere machts warm;
Ein Derwisch spaziert an der Küste,
Eine Maid aus Engeddi am Arm.

Nicht Luftzug noch Wellenschlag kräuselt
Den zähen, bleifarbenen See,
Nur Naphthageruch kommt gesäuselt
Und dunstig umflort sich die Höh'.

's ist eine versalzene Gegend
Und niemand ringsum ist gerecht.
Zu Loths Zeit hat's Schwefel geregnet
Und heut noch ist alles verpecht.

Keine Wäscherin naht mit dem Kübel,
Kein Durstiger naht mit dem Krug
Und dem Durstigen selber wird übel,
Wagt er aus der Flut einen Zug.

Zwei schwarzbraune Klumpen lagen
Am Ufer faulbrenzlich und schwer;
Drauf setzte mit stillem Behagen
Das Paar sich und liebte sich sehr.

Doch wehe! sie saßen auf Naphtha,
Und das läßt keinen mehr weg,
Wer harmlos sich dreinsetzt, der haft't da
Und steckt im gediegensten Pech.

Sie konnten sich nimmer erheben,
Sie jammerten: "Allah ist groß!
Wir kleben - wir kleben - wir kleben!
Wir kleben und kommen nicht los!"

Umsonst hat ihr Klagen und Weinen
Die schweigende Wüste durchhallt,
Sie mußten zu Mumien versteinen
Und wurden, ach! selbst zu Asphalt.

Ein Vöglein wollte um Hilfe
Hinüber zum Städtlein Zoar,
Betäubt fiel's herab ins Geschilfe,
Es stank, daß zu fliegen nicht war.

Und blaß, mit erschaudernden Seelen
Sah man einen Wallfahrtzug fliehn -
Den Pilgern sowie den Kameelen
War's benzoesauer zu Sinn.

So geht's, wenn ein Derwisch will minnen
Und hat das Terrain nicht erkannt...
O Jüngling, fleuch eiligst von hinnen,
Wo Erdpech entquillet dem Land.
Text: Victor von Scheffel - Lizenz: Public Domain