Menü

www.solars.de → Kunst und Literatur → Gedichte → Scheffel, Joseph Victor von

Der Granit

In unterirdischer Kammer
Sprach grollend der alte Granit:
"Da droben den wäss'rigen Jammer
Den mach' ich jetzt länger nicht mit.
Langweilig wälzt das Gewässer
Seine salzige Flut übers Land,
Statt stolzer und schöner und besser
Wird alles voll Schlamm und voll Sand.

"Das gäb' eine mitleidwerte
Geologische Leimsiederei,
Wenn die ganze Kruste der Erde
Nur ein sedimentäres Gebräu.
Am End würd' noch Fabel und Dichtung,
Was ein Berg - was hoch und was tief;
Zum Teufel die Flötzung und Schichtung,
Hurra! ich werd' eruptiv!

Er sprach's und zum Beistand berief er
Die tapferen Porphyre herbei,
Die kristallinischen Schiefer
Riß hönisch er mitten entzwei.
Das zischte und lohte und wallte,
Als nahte das Ende der Welt;
Selbst Grauwack, die züchtige Alte,
Hat vor Schreck auf den Kopf sich gestellt.

Auch Steinkohl' und Zechstein und Trias
Entwichen, im Innern gesprengt,
Laut jammernd im Jura der Lias,
Daß die Glut ihn von hinten versengt.
Auch die Kalte, die Mergel der Kreiden
Sprachen später mit wichtigem Ton:
"Was erstickte man nicht schon bei Zeiten
Den Keim dieser Revolution?"

Doch vorwärts, trotz Schichten und Seen,
Drang siegreich der feurige Held,
Bis daß er von sonnigen Höhen
Zu Füßen sich schaute die Welt.
Da sprach er mit Jodeln und Singen:
"Hurra! das wäre geglückt!
Auch unsereins kann's zu 'was bringen,
Wenn er nur herzhaftiglich drückt!"
Text: Victor von Scheffel - Lizenz: Public Domain