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Fünfter Gesang

Sie sagte es: die mitleidende Gesellschaft schmolz in Thränen: aber das Schicksal und Jupiter hatten die Ohren des Barons verstopft. Vergebens bestürmte ihn Thalestris mit Vorwürfen; denn wer kann rühren, wenn die schöne Belinde nicht rührt? Nicht halb so standhaft konnte der Trojaner seyn, indem Anna vergebens bat, und Dido umsonst wüthete. Darauf bewegte die ernsthafte [32] Clarisse mit Anstand ihren Fächer; alles schwieg, und die Nymphe hub also an: [33] Sprich, warum werden Schönheiten so sehr gelobet und geehrt; sie, die weise Männer lieben, und deren Wohlseyn eitle trinken? Warum mit allem dem geschmückt, was Land, was Erde und Meer hervorbringt? Warum Engel genannt, und wie Engel angebethet? Warum drängen sich rund um unsere Kutschen die weiß behandschuheten Stutzer, warum neigen sich die hintersten Reihen in den Logen? Wie eitel sind alle diese Ehrenbezeigungen, alle unsere Bemühungen, wenn der Verstand das nicht bewahret, was die Schönheit gewinnet, damit die Mannspersonen sagen mögen, wenn wir die fördersten Logen schmücken, sehet da, die Schönste in Ansehung der Tugend und des Gesichts! O wenn die ganze Nacht hindurch tanzen, und den ganzen Tag hindurch putzen die Blattern bezauberte, oder das Alter verjagte; wer würde dann nicht alles verachten, was die Sorgen einer Haushälterin erfordern, oder wer würde auf der Welt etwas nützliches lernen? Dann würde es auch einer Heiligen anstehen, Muschen zu legen, ja zu liebäugeln; und es könnte gewiß keine so grosse Sünde seyn, sich zu schminken. Aber weil leider die vergängliche Schönheit vergehen muß; weil gekräuset oder ungekräuset, alle Locken grau werden müssen; weil geschminket oder nicht geschminket, alles verblassen, und diejenige, die einen Mann verstößt, als Jungfer sterben muß; was bleibet dann noch wol übrig, als daß wir unsere Gewalt wohl gebrauchen, und immer aufgeräumt bleiben, was wir auch immer verlieren mögen? Und glaube mir, Kind, ein aufegräumtes Gemüth kann unsere Absicht erreichen, wenn Trotz, Zorn, Geschrey und Schelten nichts ausrichten. Schönheiten mögen umsonst ihre artigen Augen rollen; Reizungen rühren das Gesicht, aber Verdienst gewinnet die Seele.

Sosprach die Dame, [34] aber es erfolgte kein Beyfall. Belinde machte ihr ein verdrießliches Gesicht, Thalestris nannte sie eine Spröde. [35] Zun Waffen, zun Waffen! schrie die tapfere Amazone, und flohe, so schnell wie der Blitz, zum Kampf. Alle ergriffen ihre Parthey, und fingen den Angriff an; Fächer klappern, Stoffe rauschen, und steife Fischbeine krachen; das Geschrey von Helden und Heldinnen steigt unordentlich durch einander, und Baß und Discantenstimmen schlagen die Luft. Man siehet keine gemeine Waffen in ihren Händen; wie Götter fechten sie, und fürchten keine sterbliche Wunde.

[36] So, wenn der kühne Homer die Götter kämpfen, und himmlische Herzen von menschlichen Leidenschaften wüthen läßt, bewafnet sich Mars gegen Pallas, Hermes gegen Latone; und der ganze Olympus ertönet vom lautem Getöse. Jupiters Donner krachet, der ganze Himmel zittert rund umher; der blaue Neptun stürmet, die brausenden Tiefen erschallen: die Erde schüttelt ihre wankenden Thürme, der Boden zerreißt, und die blassen Geister fahren bey dem Strahle des Tages zusammen!

Der [37] triumphirende Umbriel schlug seine frohen Flügel, und saß auf einem erhabenen Wandleuchter, das Gefecht anzusehen. Auf den Speeren der Haarnadeln stehen die Geister, und sehen dem zunehmenden Kampfe zu, oder mischen sich in das Handgemenge.

Indem Thalestris wüthend durch das Gedränge flieget, und aus ihren beyden Augen rund umher den Tod ausstreuet, fiel ein Stutzer und Witzling in dem Handgemenge; einer starb in einer Metapher, und der andere in einem Liede. "O grausame Nymphe! ich dulde einen lebendigen Tod," rief Dapperwit, und sank bey seinem Stuhl nieder. Sir Fopling war einen traurigen Blick in die Höhe; "diese Augen" [38] sind so tödtend geschaffen, " waren seine letzten Worte. So lieget an dem blumichten Rande des Meanders der sterbende Schwan, und stirbt indem er singet. [39]

Als der kühne Sir Plume Clarisse niedergeworfen hatte, trat Cloe herzu, und tödtete ihn mit einem zornigen Blicke; sie lächelte, den schwachen Held erschlagen zu sehen; aber bey ihrem Lächeln lebte der Stutzer wieder auf. Nun hält Jupiter [40] seine güldenen Schaalen in der Luft, und wäget den Witz der Mannspersonen gegen das Haar des Frauenzimmers. Der zweifelhafte Wagebalken wanket lange von Seite zu Seite; endlich steigt der Witz in die Höhe, und die Haare sinken.

Siehe die zornige Belinde fliegt auf den Baron zu, mit mehr als gewöhnlichem Blitze in ihren Augen: der Held fürchtete sich nicht, einen ungleichen Kampf zu wagen, und suchte nichts mehr, als auf seinem Feinde zu sterben. Aber diesen kühnen Lord, der männliche Kräfte besaß, überwand sie mit einem Finger, und stieß ihn mit einem Daumen zu Boden. Eben als seine Nase Lebensathem schöpfte, stieß die listige Schöne eine Prise Toback hinein. Die [41] Gnomen vertheilten und führten die Kprner des kitzelnden Staubes an ihren Ort. Plötzlich flossen beyde Augen von herausstürzenden Thränen über, und der hohe Dohm gab den SChall seiner Nase zurück.

Nun erwarte den Schicksal, rief die zornige Belinde, und zog eine tödtliche Haarnadel von ihrer Seite. Eben diese trug, um seine alte Person [42] zu zieren, ihr Urgroßvater in drey Siegelringen um den Hals; diese wurden hernachmals zu einer großen Schnalle für das Oberkleid seiner Wittwe umgeschmolzen. Darauf wurde eine Pfeife für ihre Großmutter daraus, als sie ein Kind war; mit den Schellen klingelte, und auf der Pfeife blies sie; dann schmückte es, als eine Haarnadel, das Haar ihrer Mutter, die sie lange trug, und jetzo Belinde trägt.

Prahle nicht auf meinen Fall, hochmüthige Feindin, rief er! Du sollst dereinst von einem andern eben so niedrig dahin gelegt werden! Glaube nicht, daß Sterben meine erhabene Seele niederschlägt: alles, was ich fürchte, ist dich zu hinterlassen! Ach! ehe dieses geschehen sollte, laß mich lieber am Leben, und in den Flammen des Cupido brennen - - aber lebendig brennen.

Gieb mir die Locke wieder! rief sie, und rund umher antwortet die gewölbte Decke, gieb mir die Locke wieder! Der wüthende Othello heulte nicht so laut um das Schnupftuch, das ihm Kummer machte. Aber siehe, wie oft hochmüthige Absichten zu Grunde gerichtet werden, und wie oft Helden so lange streiten, bis der ganze Preis verlohren ist! Die Locke, die durch Bosheit erworben, und mit Sorge aufbehalten war, wird aller Orten gesucht, aber umsonst gesucht: Mit einer solchen Beute mußte kein Sterblicher beglückt werden; so beschloß es der Himmel, und wer kann mit dem Himmel streiten?

Einige glaubten, sie sey in die Sphäre des Mondes gestiegen, weil alles, [43] was auf der Erde verloren geht, daselbst wie ein Schatz, aufbewahret wird. Daselbst wird der Witz des Helden in schweren Gefässen, und der Stutzer in Tobacksdosen, oder in Scheerengehäusen [44] aufgehoben. Da findet man gebrochene Gelübde, und auf dem Todtenbette vermachte Allmosen, und Herzen der Liebhaber mit Enden von Band gebunden, die Versprechung des Hofmanns, und die Gebethe der Kranken, das Lächeln der Huren, und die Thränen der Erben, Käfige für Mücken, und Ketten einen Floh zu fesseln, getrocknete Schmetterlinge, und Bände voll Gelehrsamkeit der Gasuisten.

Aber glaubet der Muse - - Sie sahe die Locke in die Höhe fliegen, ob es gleich keine andere, als scharfe poetische Augen bemerkten. (So fuhr Roms großer Stifter in den Himmel, obgleich allein von dem Proculus gesehen.) Plötzlich in einen Stern verwandelt schoß sie durch die heitere Luft, und zog einen glänzenden Schweif von Haaren hinter sich her. So glänzend stiegen ehedem nicht Berenicens Locken [45] in die Höhe, und besprengeten den Himmel mit einem aus einander gestreuten Lichte. Die Sylphen sahen sie sich entzünden, so wie sie flog, und folgten ihr mit Freuden durch den Himmel.

Die Welt der Stutzer soll sie aus der Allee betrachten, und ihren günstigen Strahl mit Musik begrüssen. Diesen Stern soll der glückselige Verliebte für den Stern der Venus halten, und von dem Rosamonda-See Gelübde an ihn richten. [46] Patridge soll ihn an den wolkenlosen Himmel erblicken, so bald er wieder durch Galiläens Augen siehet; und hieraus soll der fürtrefliche Sterndeuter den Tod Ludewigs, und den Fall Roms prohezeyen.

Höre demnach auf, schöne Nymphe, dein geraubtes Haar zu betrauern, welches der glänzenden Sphäre einen neuen Glanz giebt! Nicht alle Locken, worauf ein schöner Kopf prahlen kann, werden so vielen Neid erregen, als die Locke, die du verlohrest. Denn nach allen Mordthaten deiner Augen, wenn du nach erschlagenen Millionen selbst sterben wirst; wenn diese schönen Sonnen untergehen werden, wie sie denn untergehen müssen, und alle diese Locken in Staub gelegt seyn werden, so soll die Muse diese Locke dem Nachruhm heiligen, und unter den Sternen Belindens Namen einschreiben.


[32] Ein neuer Charakter, der in die folgenden Ausgaben eingeschaltet wurde, um die Moral des Gedichtes deutlicher zu eröffnen, in einer Parodie der Rede des Sarpedon an den Glaucus im Homer.
[33] Nachahmung der Rede des Sarpedon an den Glaucus.
[34] Dieser Vers findet sich häufig im Homer, wenn deine Rede vorhanden ist.
So sprach er - und alle Helden gaben ihm Beyfall.
[35] Von hier an gehet die erste Ausgabe bis zum Schluß fort, nur sind einige wenige Züge eingeschaltet, um die Maschine bis ans Ende des Gedichtes im Gesichte zu erhalten.
[36] Iliade. XX
[37] Minerva steiget auf gleiche Art auf das Dach, um das Gefecht des Ulysses mit seinen Gegnern anzusehen.
[38] Worte aus einer Arie in der Oper Camilla.
[39] Sic ubi fata vocant, udis adjestus in herbis,
Ad vada Macendri concinit albus olor.
[40] Siehe Homers Iliade VIII. und Virgil. Aeneis XII.
[41] Der angeführten Ursache halber sind diese Zeilen eingeschoben.
[42] Eine Nachahmung der Abkunft des Zepters des Agamemnon im Homer. Iliade II.
[43] Siehe den Ariosto. Canto XXXIV.
[44] Im Text stehet tweezercases; dieses sind kleine Kneipzangen, Haare damit auszureissen. Da mir kein eigentlicher Namen für dieses Instrument bekannt ist, und eine Umschreibung die Stelle verdorben haben würde, so habe ich nur Scheerengehäuse übersetzt.
    Übersetzer.
[45] Flammiferumque trahens spatiosa limite crines Stella micat.
[46] Johann Patridge war ein lächerlicher Sternseher, der in seinen Kalendern alle Jahre den Fall des Papstes, und des Königes von Frankreich, der damals mit Engelland Krieg hatte, prophezeyhete.
Text: Alexander Pope - Lizenz: Public Domain