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Zweyter Gesang

Mit größerm Glanze steiget nicht die Sonne früh in den Feldern der Luft, über dies purpurne Meer auf, als die Nebenbuhlerin ihrer Strahlen aus ihrem Zimmer gieng, und auf dem Busen der silbernen Themse fortschiffete. [13] Schöne Nymphen und wohlgekleidete Jünglinge schimmerten um sie her; aber alle Augen waren auf sie allein gerichtet. Auf ihrer weissen Brust trug sie ein funkelndes Kreuz, welches Juden geküßt, und Unglaubige gern angebetet haben würden. Ihre lebhaften Blicke verrathen eine Seele voll Geist, so munter und unbeständig, als ihre Augen. Niemand erhält Gunstbezeugungen, alle aber ihre Lächeln. Oft versagt, aber niemals beleidiget sie. Glänzend, wie die Sonne, treffen ihre Augen die starren Anschauer, und wie die Sonne scheinen sie auf alle ohne Unterschied. Dennoch hätten angenehmer Anstand, und eine Sanftmuth ohne Stolz, ihre Fehler verbergen können, wenn Schönen Fehler verbergen dürften: wofern ja einige weibliche Versehen bey ihr statt finden, so sehet nur ihr Gesicht an, um sie alle zu vergessen.

Diese Nymphe trug, zum Verderben des männlichen Geschlechts, zwey Haarlocken, welche mit Anstand auf die Schultern in gleicher Krause herabhingen, und sich schön vereinigten, mit glänzenden Ringeln den ebenen elfenbeinernen Hals zu zieren. Die Liebe fängt in diesen Labyrinthen ihre Sklaven, und hält große Herzen in dünnen Ketten gefangen. Mit Sprenkeln von Haaren betriegen wir die Vögel; schwache Fäden von Haare fangen das schuppichte Geschlecht; schöne Locken bestricken das herrschende Geschlecht der Männer, und die Schönheit ziehet uns mit einem einzigen Haare an sich.

Der kühne Baron bewunderte die schöne Locke. Er sahe, er wünschte, und brannte nach dem Preise. Entschlossen ihn zu erbeuten, überlegt er die Mittel, ob er ihn mit Gewalt rauben, oder durch verrätherischen Betrug gewinnen wollte. Denn wenn nur das Glück die Bemühung eines Liebhabers begleitet, so fragen wenige, ob Betrug oder Gewalt ihre Absichten erreichen.

Deswegen hatte er, ehe Phöbus aufgieng, den gütigen Himmel und jede Nacht angebetet; vornemlich aber die Liebe - Der LIebe hatte er einen Altar von zwölf dicken französischen, schön vergüldeten Romanen erbauet. Auf denselben legte er drey Hosenbänder, ein halbes Paar Handschuhe, und alle Trophäen von seinen vorigen Geliebten. Mit zärtlichen Liebesbriefen zündet er den Scheiterhaufen an, und hauchet drey verliebte Seufzer, das Feuer aufzufachen. Darauf fällt er aufs Angesicht nieder, und bittet mit brennenden Augen, den Preis bald zu gewinnen, und lange zu behalten. Die Mächte [14] merkten auf, und gewährten ihm seiner halben Bitte, die andere Hälfte zerstreuten die Winde durch die leere Luft.

Jetzo aber gleitet das bemahlte Schiff sicher fort, und die Sonnenstrahlen zittern auf den schlagenden Wellen; indem eine schmelzende Musik in die Luft steigt, und zärtliche Töne auf dem Wasser sterben. Die Wellen gehen eben, und die Westwinde spielen sanft; Belinde lächelte, und die ganze Welt war fröhlich. Alles ausser dem Sylphen - - - Von sorgenvollen Gedanken eingenommen, lag ihm das bevorstehende Unglück schwer am Herzen. Stracks versammelt er seine Bewohner der Luft; die leuchtenden Geschwader erscheinen rund um die Segel, und erregen um die Thaue in der Luft ein Gelispel, welches der Gesellschaft nur Zephyre zu seyn schienen. Einige bereiten gegen die Sonne ihre Insektenflügel aus, schweben auf jedem gelinden Winde daher, oder sinken in Wolken von Gold; durchsichtige Körper, zu fein für ein sterbliches Gesicht, deren flüßige Leiber halb in Licht aufgelöset waren. Frey in den Wind flossen ihre Kleider von Luft, aus dünnen schimmernden Häutchen von Thau waren sie gewebt, und in den reichsten Farben des Himmels gefärbt. Das Licht spielete auf denselben in Farben, die sich beständig unter einander mischen; ein jeglicher Strahl streuet neue vergängliche Farben um sich; Farben, die sich so oft verändern, als sie ihre Flügel bewegen. Mitten unter dem Haufen um sich her saß auf dem vergüldeten Mast Ariel, dessen Haupt über die anderen hervorragte. Er schlug seine purpurne Flügel gegen die Sonne aus einander, hob seinen lazurnen Zepter in die Höhe, und fieng also an:

Ihr Sylphen und Sylphiden, vernehmet euren Anführer; ihr Fayen, Zaubergeister, Genie, Alpe und Dämons, höret! Euch sind die Sphären und die verschiedenen Ämter bekannt, die dem Geschlechte der Luft von den ewigen Gesetzen bestimmet sind. Einige spielen in den Feldern des reinsten Äther, und sonnen und bleichen sich in dem Glanze des Tages. Einige leiten die wandernden Welten in ihrer Bahn durch die Höhe, oder wälzen die Planeten durch den unbegränzten Himmel. Einige, die sich so klug sind, verfolgen unter dem blassen Lichte des Mondes, die Sterne, die in der Nacht herunterfallen. Oder fangen die Nebel in der niedrigen dickern Luft ein, oder tauchen ihre Flügel in den bunten Regenbogen, oder brauen schreckliche Ungewitter auf dem stürmischen Meere, oder lassen auf den Erdkloß einen sanften Regen herabtröpfeln. Andere sind auf der Erde dem menschlichen Geschlechte vorgesetzt, bewachen es auf allen seinen Wegen, und leiten es in allen seinen Handlungen. Die vornehmsten von diesen haben die Sorge für Nationen, und beschützen mit göttlichen Waffen den brittischen Thron.

Unsere niedrigere Verrichtung ist, die Schönen zu bedienen; eine Verrichtung, die eben so angenehm, obgleich nicht so herrlich ist; den Puder für einen gar zu starken Hauch zu schützen, und die gefangenen Essenzen nicht verdüften zu lassen; frische Farben aus den Frühlingsblumen zu ziehen; dem Regenbogen, ehe er in Tropfen niederfällt, eine schönere Schminke zu stehlen; das wallende Haar der Schönen in Locken zu legen, ihnen im Erröthen zu Hülfe zu kommen, und den rechten Anstand zu geben. Ja oftmals müssen wir ihnen in Träumen die Erfindung eingeben, wie sie ihre Fallblätter verändern, oder wo sie noch eine Franze anheften sollen.

An diesem Tage drohen schwarze Zeichen der vortreflichsten Schönen, die jemals die Sorge eines wachsamen Geistes verdiente; ein grausames Unglück, entweder durch Gewalt, oder List; aber welches, oder wo? das hat das Schicksal in Nacht verhüllet. Ob die Nymphe [15] das Gesetz der Diane brechen, oder ob ein zerbrechliches chinesisches Geschirr einen Riß empfangen wird; ob sie ihre Ehre, oder ihr neues brokadenes Kleid beflecken; ob sie ihr Gebet vergessen, oder eine Maskerade versäumen; ob sie auf einem Ball ihr Herz oder ihr Halsband verliehren wird, oder ob der Himmel verhänget hat, daß ihr Hund sterben soll. Eilet demnach ihr Geister, nehmet eure Stellen ein. Der flatternde Fecher sey Zephyrettens Sorge; die Ohrgehänge befehlen wir deiner Sorge, Brlillante; und du Momentilla, bewache die Uhr; Crispissa sorge für ihre liebste Haarlocke; Ariel selbst soll ihren Hund bewachen.

Fünfzig ausgesuchten Sylphen von besondern Verdiensten vertrauen wir die wichtige Sorge für ihren Unterrock. Wir haben oft erfahren, daß diese siebenfache Schanze, obgleich mit Fischbeinen ausgesteift, und mit Walfischrippen bewafnet, zu schwach gewesen ist. Schliesset einen Kreis um den silbernen Saum, [16] und beschützt den weiten Umkreis rund umher.

Ein jeder Geist, der sorglos für sein Amt, seinen Posten versäumet, oder die Schöne verläßt, soll es bald empfinden, daß eine scharfe Bestrafung auf seine Sünde folget; soll in Flaschen zugepfropft, oder mit Stecknadeln gespisset werden; oder in Seen bitterer Schminkwasser versenkt, oder ganze Jahrhunderte in das Auge einer Haarnadel geklemmet werden. Harze und Pomaden sollen seinen Flug hemmen; und fest gekiebt, soll er umsonst seine seidene Flügel schlagen; oder stiptischer Allaun soll mit zusammenziehender Kraft sein dünnes Wesen, wie eine geschrumpfelte Blume, zusammen ziehen; oder wie Irion soll der Bösewicht auf die Kaffeemühle gebunden, ihre schwindlichte Bewegung empfinden, indem sie gedrehet wird; im Dampfe der kochenden Chokolade soll er glühen, und an der See zittern, die unter ihm sprudelt!

Er sagts: die Geister fliehen von den Segeln herab; einige breiten sich in Kreisen um die Nymphe aus, andere schlupfen durch die labyrinthische Locken ihres Haars, andere hängen sich an ihre Ohrgehänge. Mit klopfenden Herzen erwarten sie also den schrecklichen Erfolg, voll Furcht und Zittern, was das Schicksal verhängen würde.


[13] Von dieser Zeile bis auf die Zeile "das übrige zerstreuten die Winde in der leeren Luft" gehet das Gedicht in der ersten Ausgabe. Alles was folgt, bis ans Ende dieses Gesanges wurde hinzugesetzt.
[14] Virg. Aen XI. P.
[15] Ob die Nymphe ec. Weil das Unglück, welches der Inhalt dieses Gedichtes ist, eine Kleinigkeit war, die im Ernst aufgenommen wurde; so gab es dem Dichter eine ungezwungene Gelegenheit zu dieser feinen Satyre, über die Art, wie das Frauenzimmer die Unglücksfälle der Menschen zu schätzen pflegt.
[16] Um den silbernen Saum ec. Eine Anspielung auf den Schild des Achilles.
Text: Alexander Pope - Lizenz: Public Domain