Asyl
Hohe Klippen, ringsgeschlossen,Wenig kümmerliche Föhren,
Trübe flüsternde Genossen,
Die hier keinen Vogel hören;
Nichts vom freudigen Gesange
In den schönen Frühlingszeiten;
Geiern wird es hier zu bange,
In so dunkeln Einsamkeiten.
Weiches Moos am Felsgesteine,
Schwellend scheint es zu begehren:
Komm, o Wolke, weine, weine
Mir zu die geheimen Zähren!
Winde hauchen hier so leise,
Rätselstimmen tiefer Trauer;
Hier und dort die Blumenwaise
Zittert still im Abendschauer.
Und kein Bach nach diesen Gründen
Darf mit seinem Rauschen kommen,
Darf der Welt verratend künden,
Was er Stilles hier vernommen;
Denn die rauhen Felsen sorgen,
Daß noch eine Stätte bliebe,
Wo ausweinen kann verborgen
Eine unglückliche Liebe.
Text: Nikolaus Lenau - Lizenz: Public Domain