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Triumph der Tugend

Erste Erzählung

Von stiller Wollust eingeladen
Drang in den Tempel der Dryaden
Mit seinem Mädchen Daphnis ein,
Um zärtlich ohnbemerkt zu sein.
Des Taxus Nacht umgab den Fuß der Eichen,
Nur Vögel hüpften auf den Zweigen,
Rings um sie her lag feierliches Schweigen.
Als wären sie auf dieser Welt allein.

Sie saßen tändelnd in dem kühlen.
Allein, dem Herzen nah, das uns so zärtlich liebt -
Wem Amor solch ein Glück gibt,
Wird der nicht mehr als sonsten fühlen?
Und unser Paar fing bald an mehr zu fühlen.

Des Mädchens zärtlich Herz lag ganz in ihrem Blicke,
halblächelnd nennt sie ihn ir bestes gröstes Glücke.
Sein Herz, von heißem Blut erfüllt,
Drückt sich an ihrs, läßt nach, drückt wieder;
Und wenn das Blut einmal von Liebe schwillt,
Reist es gar leicht der Ehrfurcht Grenzen nieder.

Konnt Daphnis wohl dem Reiz des Busens widerstehn?
Bei jedem Kuß durchglüht ihn neues Feuer,
Bei jedem Kusse ward er freier,
Und sie - und sie - ließ es geschehn.
Der Schäfer fühlt ein taumelndes Entzücken,
Und da sie schweigt, da jetzt in ihren Blicken
Anstatt der Munterkeit ein sanfter Kummer liegt,
Glaubt er sie auf dem Grad von feuigem Entzücken,
Wo man die Mädchen leicht besiegt.

Sie war an seine Brust gesunken,
Und er, zuletzt von Wollust trunken,
Erbat sich, Amor, Sieg, von dir.
Doch schnell entriß sie sich den Armen,
Die sie umfaßten: Aus Erbarmen,
Rief sie, komm, eile weg von hier.
Bestürzt und zitternd folgt er ihr.

Da sprach sie zärtlich: Laß nicht mehr
Dich die Gelegenheit verführen;
O Freund, ich liebe dich zu sehr,
Um dich unwürdig zu verlieren.

Zwote Erzählung

Ich fand mein Mädchen einst allein
Am Abend so, wie ich sie selten finde.
Entkleidet sah ich sie; dem guten Kinde
Fiel es nicht ein,
Daß ich so nahe bei ihr sein,
Neugierig sie betrachten könnte.
Was sie mir nie zu sehn vergönnte,
Des Busens volle Blüten wies
Sie dem verschwiegnen kalten Spiegel, ließ
Das Haar geteilt von ihrem Scheitel fallen,
Wie Rosenzweig' um knospen, um den Busen wallen.

Ganz außer mir vom niegefundnen Glück
Sprang ich hervor. Jedoch wie schmollte
Sie, da ich sie umarmen wollte.
Zorn sprach ihr furchtsam wilder Blick,
Die eine Hand stieß mich zurück,
Die andre deckte das, was ich nicht sehen sollte.
Geh, rief sie, soll ich deine Kühnheit dir
Verzeihen; eile weg von hier.

Ich, fliehn? Von heißer Glut durchdrungen -
Ohnmöglich. - Diese schöne Zeit
Von sich zu stoßen! Die Gelegenheit
kömmt nicht so leicht zurück. Voll Zärtlichkeit
Den Arm um ihren Hals gezwungen, stand
Ich neben ihrem Sessel, meine warme Hand
Auf ihrem heißen Busen, den zuvor
Sie nie berühret. Hoch empor
Stieg er und trug die Hand mit sich empor,
Dann sank mit einem tiefen Atemzug er wieder,
Und zog die Hand mit sich hernieder.
So stand Dianens Jäger mutig da,
Triumph gen Himmel hauchend, als er sah,
Was ungestraft noch kein Sterblicher sah.

Mein Mädchen schwieg, und sah mich an; ein Zeichen
Die Grausamkeit fing' an sich zu erweichen,
Geschmolzen durch die Fühlbarkeit.
O Mädchen, soll mit listgen Streichen
kein Jüngling seinen Zweck erreichen,
So müßt ihr niemals ruhig schweigen,
Wenn ihr mit ihm alleine seid.
Mein Arm umschlang mit angestrengten Sehnen
Die weiche Hüfte. Fast - Fast - doch des Sieges Lauf
Hielt schnell ein glühnder Strom von Tränen
Unwiderstehlich auf.

Sie stürzt mir um den Hals, rief schluchzend: Rette
Mich Unglückselige, die niemand retten kann
Als du, Geliebter. Gott! ach hätte
Dir nie dies Herz bebrannt! Ich sah dich, da begann
Mein Elend; bald, bald ists vollendet.
O Mutter, welchen Lohn
Gab ich den treuen Lehren, die du mir verschwendet,
Dies Herz zu bilden! Mußte sich dein Drohn
So fürchterlich erfüllen:
Würd ich eine Tat
Vor dir verhüllen,
Deinen Rat
Verachten, selbst mich weise dünken,
Würd ich versinken.
Ich sinke schon; o rette mich! -
Sei stark, mein Freund, o rette dich!
Wir beide sind verloren - Freund, Erbarmen!

Noch hielt ich sie in meinem Armen.
Sie sah voll Angst rings um sich her.
Wie Wellen auf dem Meer,
Deß Grund erbebte, schlug die Brust, dem Munde
Entraucht' ein Sturm. Sie seufzte: Unschuld - ach wie klang
Dies Wort so lieblich, wenn in mitternächtger Stunde
An meinem Haupt es mir mein Engel sang.
Jetzt rauchts wie ein Gewitterton vorüber.
Sie riefs. Es ward ihr Auge trüber,
Sah sternenan. Sie betet: Sieh
Aus deiner Unschuldswohnung, Herr, auf mich herüber,
Erbarme dich, Entzieh
Der reißenden Gefahr mich. Du
Vermagsts allein; der ist zu schwach dazu,
Der Mensch, zu dem ich vor dir betete.

Naht euch, Verführer, deren Wange nie
Von heilgem Graun errötete,
Wenn eure Hand gefühllos, wie
Die Schnitter Blumen, Unschuld tötete,
Und euer Siegerfuß, darüber tretend, sie
Durch Hohn zum zweiten Male tötete,
Naht euch. Betrachtet hie
Die Vielgeliebten Tränen rollen;
Hört ihre Seufzer, hört die feuervollen
Gebete. Whe dem, der dann
Noch einen Wunsch zu ihrem Elend wollen,
Noch einen Schritt zum Raube wagen kann!

Es sank mein Arm, aus ihm zur Erd sich nieder,
Ich betet, weint, und riß mich los und floh.

Den nächsten Tag fand ich sie wieder
Bei ihrer Mutter, als sie froh
Der freudbetränten Mutter Unschuldslieder
Mit Engelstimmen sang.

O Gott, wie drang ein Wonnerstrahl durchs Herz mir! Nieder zur Erde blickend stand
Ich da. Sie faßt' mich bei der Hand,
Führt' mich vertraulich auf die Seite,
Und sprach: Dank es dem harten Streite,
Daß du zur Sonn unschuldig blickst,
Beim Anblick jener Heilgen nicht erschrickst,
Mich nicht verachtend von dir schickst.
Freund, dieses ist der Tugend Lohn;
O, wärst du gestern tränend nicht entflohn,
Du sähst mich heute
Und ewig nie mit Freude.
Text: Johann Wolfgang von Goethe - Lizenz: Public Domain