1. Teil
Als einst zur MorgenstundeFürst Artus lobesam
an seiner Tafelrunde
sein Frühstück nahm:
da stand mit ihren Frauen
die Königin
im Erker, auszuschauen
ins Grüne hin
und sich zu freuen
des holden Maien.
Sie standen da und sogen
mit offner Brust,
halb angezogen,
den frischen Balsamduft
der Morgenluft
und sahn
so ihre Lust
daran,
wie Zweig an Zweig gebogen
voll Blüten hing,
und wie sie flogen,
so oft ein Lüftchen ging.
Da war noch gute Zeit, ihr lieben Leute,
da man bei Hofe sich an so was freute!
Auf einmal rief der Jungfraun eine:
O, seht die feine
geputzte Reiterin,
(sie wies dahin
mit ihrem Zeigefinger)
vom Anger dort herab
kommt sie in vollem Trab.
Die muntern Jünger
von Artus Rittertum,
um ihren Herrn herum
gelagert in der Halle,
dies hörend, sprangen auf aus ihrer Ruh'
und liefen alle
dem Erker zu.
Die schöne Reiterin kam,
auf einem Maul geritten,
und (was die edeln Briten
sehr Wunder nahm)
ritt ohne Zaum und Zügel
mit solchem Schuss',
als hätt' ihr Maultier Flügel
wie Pegasus.
Und als sie nun im Hofe
des Schlosses hielt,
kam Ritter, Knapp' und Zofe
herbei gewühlt,
die Fremde zu empfangen,
die in der Näh
so glänzend war von Wangen
wie eine Fee.
Man führt auf ihr Verlangen
sie in den Saal,
wo Artus, sein Gemahl
und Fraun- und Ritterscharen
beisammen waren.
Da wirft die Schöne sich
auf ihre Knie
und weinet bitterlich.
Mir ist, spricht sie,
genommen worden,
was lieber mir
als dieses Augenpaar,
ja, als mein Leben war:
und, find' ich hier
in Eurem edeln Orden
nicht Jemand, dem mein Gram
zu Herzen dringt,
und der, was man mir nahm,
mir wieder bringt;
so ist, dem Himmel sei's geklagt!
auf Erden keine ärmre Magd.
Nennt uns (erwiedert ihr
der Fürst) die Ungebühr,
die euch geschehen:
wir Alle stehen
für einen Mann.
Ist's wieder zu bekommen,
was euch kein Biedermann
genommen,
so komm', als lang' Ihr dessen harrt,
kein Messer über meinen Bart!
Sie spricht: Ihr werdet denken,
ich red' im Traum',
und es verlohne kaum
die Müh, sich so zu kränken
um einen - Zaum:
doch, liebe Herren, mir
liegt an dem Zaum
mehr, als ihr glaubt.
Der Zaum von meinem Tier
ward mir geraubt;
und, krieg' ich ihn nicht wieder,
so ist, dem Himmel sei's geklagt!
auf Erden keine ärmre Magd.
Der fromme König sagt:
Laßt Eure Augenlieder
vom Weihnen ruhn;
den schönen Augen
möcht's Schaden tun,
sie so zu laugen!
Traun! wär' ich nicht zu alt
zum Abenteuern,
ich selber wollte bald
dem Unheil steuern!
Doch fasset Mut!
ich bin Euch gut
für Euren Zaum.
Mein Neffe Gawin zwar
ritt kaum
zwei Stunden lang von hier;
allein in dieser Heldenschaar
wird, glaubet mir,
sich Jeder glücklich schätzen,
Euch wieder in Besitz des Zaums zu setzen.
Ihm, spricht sie, der den Zaum mir wieder gibt,
gelob' ich feierlich,
wie's ihm beliebt,
entweder - abzutreten
das Maul, das mich
in meinen Nöten
hierher trug, oder - ich
will all mein Lebenlang allein
zum Dank sein treues Liebchen sein.
Die Jungfrau stund
bei diesen Worten
wie eine Rose da,
und, wer sie sah,
dem wässerte der Mund.
Allein der ganze Orden
der Tafelrund
war, außer zween,
mit Liebchen schon versehn;
und einer von den zween,
der Gawin hieß,
zog damals auf der Fahr;
der andre war
der Geneschall, Herr Gries.
Herr Gries, der Geneschall,
ist euch bekannt.
So war kein Springinsfeld
im ganzen Land';
auch hieß er überall
der Mädchenheld.
Denn, wenn er bei den Zofen saß
im Vorgemach,
war Staat darauf zu machen,
dass Junker Gries
die weißen Zähne wies
und zwischen Ernst und Lachen
von seinen Heldentaten sprach.
Wenn man ihm glaubte, saß
kein Ritter baß
als er zu Pferd; im Tanze
blieb ihm der beste nach,
und keiner brach
so zierlich eine Lanze;
Sankt Görge, der den Lindwurm stach
mit seiner Gabel,
war gegen Ritter Gries
ein purer Skies.
Auch bild'te sich der Gauch
auf seinen Schnabel
und seinen Bauch
und seine glatte Hand
nicht wenig ein,
und, wo ein Spiegel stand,
guckt' er hinein.
Daneben war bei Hofe
kein Tagewerk,
dass er von Frau und Zofe,
von Ritter und Gezwerg'
euch immer was erdachte,
das wenig Ehre brachte.
Stadtanekdoten
gar zierlich zu brodieren,
mit fremden Pfoten
in jedem Quark zu rühren
und Jeden zu vexieren,
der nicht beschlagen war im Replizieren:
in solchen freien Künsten wies
als einen Helden sich Herr Gries.
Indessen hatte doch
mit allen seinen Künsten
Herr Gries es noch
in Diensten
des schönen Volks nicht hoch
gebracht. Wohin der Hase
sein Herzchen trug,
da schlug
man vor der Nase
die Tür' ihm zu.
Nun dacht' er: Nähmest du
des Dings dich an, das wären
zwei Würfe, wie man spricht, mit einem Stein.
Der Zaum wird doch wohl einem Bären
nicht abzujagen sein!
A bottle o' wine,
wofern ich nicht
in eins, zwei, drei,
wie aus der Tasche,
euch ohne Zauberei
ein Liebchen hasche
und, traun! ihr Eselein
noch oben drein!
Herr Gries kräht wie ein Gockelhahn
die Taten, die er tun will, an.
"Der Zaum ist Euer,
mein Fräulein! nehmt mein Wort
auf alle Fälle.
Das ist ein Abenteuer
für mich
ganz eigentlich.
Bringt mich nur flugs an Ort
und Stelle:
und, wär's der Mann im Mon,
der ihn gestohlen,
ich will ihn wieder holen;
es ist, Ihr habt ihn schon!
Gries ist kein Freund vom Prahlen.
Drum, Liebchen, dächt ich schier,
du könntest wohl an meinem Lohn'
ein Küßchen mir
vorausbezahlen?"
Herr Ritter, spricht die Maid,
an Ort und Stelle
wird Eure Herrlichkeit
mein Maultier tragen.
Kein Feenwagen
geht halb so sanft und schnelle.
Nur unverzagt
und Alles dran gewagt!
Den Kuß - den spar' ich Euch
aufs Wiedersehen;
er soll ganz frisch sogleich
zu Diensten stehen!
Der Junker zieht
(wie Bruder L.)
sich aus der ersten
Impertinenz
durch - eine zweite:
doch, weil er heute
noch etlich tausend Wersten
zurück zu legen denkt,
verbeugt er vor der Jungfrau sich
und rings herum
gar ehrbarlich,
macht dann linksum
und schwenkt
nicht faul
sich auf des Fräuleins Maul.
Das Fräulein blieb indessen
im Frauenzimmer
der Königin;
doch steckt ihr immer
der Zaum im Sinn;
kann seiner nie vergessen!
Bis sie ihn wieder hat,
schmeckt ihr kein Essen
und kein Muskat.
Nun höret Alle, wie's
dem Seneschallen Gries
erging auf seiner Fahrt.
Sein Tier, ein Eselein
von Feenart,
bracht' ihn in Ja und Nein
an einen Wald.
Kaum riecht Herr Gries hinein,
so schwallt
und wiederhallt
aus tausend Felsenhöhen
ein fürchterlich Gebrüll
von tausend Löwen
ihm um die Ohren 'rum
und prallt
aus Tympanum.
Erschrocken hällt er still,
fängt wie ein Laub
euch an zu beben
und ist im Geist
bereits der Löwen Raub;
denkt: O, ich lobe mir
das Leben!
Ein solcher Löwe weißt
nichts von Manier;
er braucht nur einen Schluck
und einen Druck,
so ist ein Mann gespeist
als wär's ein Bübchen!
Was hälfen dann
mir alle Liebchen
der ganzen Welt,
von Cardigan
bis an den großen Belt?
Er war im Fliehn,
da kamen große Haufen
von Löwen gegen ihn
mit offnem Schlund gelaufen.
Der arme Herr
testiert mentaliter.
Das Maultier ohne Zaum
war jetzt sein Glück;
die Löwen sehn es kaum,
so werden sie zu Hasen;
sie fliehn zurück
und sind im Augenblick
wie weggeblasen.
Herr Gries bekam
nun wieder frischen Mut.
"So geht's noch gut!
Die wurden ja so zahm
wie Turteltauben!
Das Maultier, wie ich seh',
ist eine Fee."
Indem mit diesem Glauben
sich Junker stärkt,
geht's immer fort im großem Trab
Berg auf, Berg ab;
bis sie sich unvermerkt
in einem tiefen dunkeln Tal
verfangen sehen,
so eingezwängt
in himmelhohe Pyrenäen,
dass kaum ein Sonnenstrahl
hindurch sich drängt.
Von tausend Drachen
ist dieses Tal bewacht,
die Tag und Nacht
aus immer offnen Rachen
braunrote Flammen sprühn.
Oh weh! wohin nun fliehn,
Herr Geneschall?
In einen dicken Schwall
von Rauch und Funken eingehüllt,
sieht er der Hölle wahres Bild
rings um sich her. Das war ein Zischen
aus Felsenkluft und dürren Büschen!
All' Augenblicke schnaubt
ein Lindwurm, dicker als sein Arm,
bald rechts bald links ihn an.
"Ach! (schreit er, was er scheien kann)
dass Gott erbarm'!"
und glaubt
es sei um ihn getan.
Indes war unbefangen
und unverletzt
sein Maultier mitten
durch Würm' und Schlangen
hindurch geschritten
und hatt' in eine offne Au'
ihn schon versetzt,
eh noch Herr Gries,
dem's grün und blau
vorn Augen hing,
sie aufzutun sich unterfing.
Ein zweites Paradies
schien diese Au;
die ganze Fläche,
soweit sie sich erstreckt,
mit Blumen überdeckt,
und kleine Bäche,
die himmelblau
aus ihrer grünen
Einfassung schienen,
und Gruppen hier und dort
von schlanken Bäumen:
ein holdrer Ort
läßt kaum sich träumen.
Herr Gries trabt hohen Mutes
das Tal hinab,
denkt: "Nun ist's überstanden!
Dass ich für meinen Hals
gezittert hab,
was tut's?
Kein Zeug' ist ja vorhanden!
Dem Maultier' allenfalls,
dem leugn' ich's ab.
Und als er nun so fürder ritt,
da ragt ein schönes Schloß,
kaum tausend Schritt'
(auch hundert drüber)
ihm gegenüber
hervor aus hohen Büschen.
Des ward er kaum
gewahr, so schoß
ihm's in den Sinn, der Zaum
sei dort. Nun ging's troß, troß;
allein es floß
ein tiefer Strom dazwischen.
Gries sieht sich um
nach einer Brücke,
trabt auf und ab,
da zeigt ein schmaler Eisenstab
sich seinem Blicke.
Der Junker steht ein wenig dumm
an dieser Brücke;
ihm schwindelt schon
beim Anblick; sie passieren
ist eine Tat, wovon
er nichts versteht.
Man kann da, wie ihm weislich däucht,
so leicht
das Gleichgewicht verlieren.
Kurz, Junker sagt sein Wörtchen, dreht
sich um und denkt: Ein Narre
erkauf' ein Liebchen sich auf diesem Fuß!
Und brächte sie mir Bearn und Navarre
zum Brautschatz' - einen schönen Gruß!
sie ist für mich zu teuer!
Madame such' einen andern Freier;
mich sticht
der Haber nicht!
Und also, um es kurz zu machen,
kehrt unverrichter Sachen
Herr Gries zurück, woher er kam.
Das Maultier nahm
den kürzern Weg und trug den tapfern Mann
frisch und gesund
um Tafelzeit zurück nach Cardigan.
Genevra stund
am Fenster just, da er,
beim großen Lindenbaum
vorbei,
den Weg zum Schloß daher
geritten kam.
"Ei, ei,
da kommt Herr Gries schon wieder,
der, däucht mich, kaum
noch Abschied nahm:
nun sag' mir einer mehr,
er sei nicht bieder!"
Die fremde Jungrau schaut
und spricht: "Ja, leider!
er kommt mit heiler Haut,
doch ohne Zaum.
Der beste Schneider
in Cardigan,
was hätt' er mehr getan?"
Inzwischen langt im großen Trab'
Herr Gries, der Seneschall, im Schloßhof' an,
steigt ab,
wird feierlich empfangen,
wie sich's gebührt,
und in den Saal geführt
mit großem Prangen.
Ihm machen,
wie er einher stolziert,
mit kaum
verbiss'nem Lachen
die Knappen Raum.
Die ganze ritterliche Zunft
erfreut sich seiner Wiederkunft,
allein - der Zaum?
Wo bleibt der Zaum, Herr Gries?
fragt Jedermann,
der ihn willkommen hieß.
"Der Zaum, (spricht eine von den Frauen,
die ihn von Fuß zu Kopf beschauen)
der Zaum bleibt - wo er kann.
Wie bald ist eine Kleinigkeit,
wie die, vergessen?
Allein aus solcher Fährlichkeit,
noch eh wir recht vernommen,
dass er gegangen sei, zurückzukommen
mit ganzer Haut, und just zu rechter Zeit
zum Mittagessen:
das nenn' ich eine Rittertat,
die sich gewaschen hat!"
Der hohe Saal erscholl
von lautem Lachen.
"Nur nicht so toll
getan! schrie Junker Gries.
Versucht's nun auch! Ich wette meinen Spieß,
dass euch das Lachen
vergehen soll.
Ja, was die Löwen und die Drachen
und solch Geschmeiß
betrifft, die - machten mir nicht heiß;
wiewohl der kleinste meiner Drachen
euch, ohne Raillerie,
aus seinem kleinen Rachen
mehr Rauch und Flammen spie,
als Ätna und Vesuvius
im größten Feuerguß.
Doch, übern Themsefluß
auf einem Draht
zu traben,
und das - pardonnez-moi
um einen Kuß,
das sollte sich
der große Mithridat,
ma foi,
verbeten haben
so gut als ich!
Indessen dass in seinem Dünkel
Herr Gries so gaskonierte, saß
die schöne Magd in einem Winkel
und weinte ohne Maß.
Der Zaum, um den sie kläglich tut,
ist, ach! ihr ganzes Erb' und Gut;
und sich noch an der Nasen
mit solchem Übermut'
herumgeführt zu sehn
von diesem Hasen -
man muß gestehn,
es war zum Rasen!
Zu allem Glück
kam Ritter Gawin eben
von seiner Fahrt zurück,
als sie ihr Mißgeschick
nicht überleben
zu können schwur
und schon mit wildem Blick
sich in die Locken führ.
Er kam gerade
noch früh genug, um Gnade
zu bitten für ihr gelbes Haar,
das in Gefahr
ein Raub der Winde
zu werden war.
Er fiel geschwinde
ihr in die Hand
und sprach so adelig
und schien so ganz der Mann,
der helfen kann,
dass sie beim ersten Anblick sich
ihm gleich gewogen fand
und ohne Widerstand
sich und ihr Liebstes in der Welt,
den Zaum, in seine Hände stellt.
Herr Gawin spricht:
"Von vielen Worten bin ich nicht;
doch, holdes Mädchen, schau
mir ins Gesicht!
Da steht es wie mir einer Kohle
gezeichnet da; ich hole
dir deinen Zaum, und du
bist meine Frau.
Verschämt mit halb geschloss'nem Blick
nickt ihm's das Mädchen zu:
"Geh, spricht sie, meines Lebens Ruh
steht nun bei dir."
Und alle Frauen wünschen ihr
zu solchem Ritter Glück.
Text: Christoph Martin Wieland - Lizenz: Public Domain