Städtebau in der BRD
Der folgende Text ist der Diplomarbeit 'Nachhaltige Stadtentwicklungsplanung - Möglichkeiten des ökologischen Wohnungsbaus und Instrumente der Umsetzung' von Stefan Ebeling entnommen. Ich danke dem Autor für die Genemigung.1949-1959
Wichtigste Aufgabe des Städtebaus nach dem 2. Weltkrieg war die Bereitstellung von Wohnraum. Von den 1936 vorhandenen 10,6 Mio. Wohnungen waren rund 1,8 Mio. Wohnungen insbesondere in den Großstädten zerstört und 500.000 weitere Wohnungen aufgrund der Stärke der Beschädigung unbewohnbar. 2,5 Mio. Wohnungen wiesen leichte bis mittelschwere Schäden auf . Durch die Zerstörungen und die Zuwanderung der Flüchtlinge stieg die Wohnungsbelegung von durchschnittlich 3,5 Personen pro Wohnung 1936 auf 6 Personen 1946 an. In der BRD wurden bis 1956 mehr als zwei Millionen Sozialwohnungen geschaffen. Es gab einen jährlichen Zugang von mehr als einer halben Million Wohnungen, wohingegen in der DDR nur zwischen 40.000 und 80.000 Wohnungen im Jahr fertiggestellt werden konnten.
Beim Bau der Wohnungen wurde wenig auf eine städtebauliche Konzeption geachtet. Es wurden meist einfache Mehrfamilienhäuser in offener Zeilenbauweise errichtet.
Mit in Kraft treten der Änderung des Wohnungsbaugesetzes 1953 begann die finanzielle Förderung des Eigenheimbaus. Die Qualität der Wohnungen sollte unter anderem durch die Erhöhung der Wohnflächenobergrenze förderfähiger Wohnungen von bisher 65 qm auf 80 qm gesteigert werden.
Der Wiederaufbau der westdeutschen Städte vollzog sich im wesentlichen unter Beibehaltung der überkommenen Formen der Stadtgeographie. Eine grundlegende Neugestaltung der Städte im Rahmen des Wiederaufbaus wurde nur in wenigen Einzelfällen angestrebt und erreicht. Diese Tendenz wurde durch verschiedene Ursachen, wie der geringen Finanzkraft der Kommunen, den bestehenden Besitzverhältnissen, den erhaltenen unterirdischen Ver- und Entsorgungsstrukturen und dem in der Bevölkerung weitverbreiteteren Wunsch nach Restauration des Zerstörten, verhindert.
Anknüpfend an die städtebauliche Diskussion in den dreißiger Jahren wurde das Konzept der gegliederten und aufgelockerten Stadt wieder aufgegriffen. Ziel dieses Leitbildes war die Gliederung der Stadt in Nachbarschaften mit 4.000 - 6.000 Einwohnern, Stadtzellen (bestehend aus vier Nachbarschaften), Stadtbezirken (bestehend aus drei Stadtzellen). Die städtischen Funktionen - Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Erholen - sollten räumlich getrennt werden, um ein Wohnen im Grünen zu ermöglichen. Göderitz, Roland und Hoffmann empfahlen Gebäude mit maximal vier Geschossen zu bauen, da bei dieser Geschoßzahl das Verhältnis zwischen Geschoßfläche und Grünflächen optimal sei.
Hier setzte die Kritik an diesem Leitbild ein. Durch die geringe Bauhöhe und Offenheit der Bebauung entstehe weder städtischen Leben noch Urbanität, und durch die geringe Dichte sowie die Grünanlagen würde die Landschaft unnötig zersiedelt. Ein anderes Problem dieses Leitbildes seien die durch die Trennung der Funktionen erzeugten enormen Verkehrsströme.
1960-1969
Zeitlich parallel zum Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt und als Reaktion auf das starke Anwachsen des motorisierten Individualverkehrs, kam es in den sechziger Jahren zu einer Diskussion über die künftige Abwicklung des städtischen Verkehrs. Ziel des Leitbildes der autogerechten Stadt war es, die Städte entsprechend den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs zu gestalten. Dies führte in zahlreichen Fällen zu einer folgenreichen Zerstörung des Stadtbildes. Die Gegenposition entwickelte das Leitbild einer massenverkehrsgerechten Stadt. Allein durch die Errichtung von öffentlichen Verkehrsmitteln sei der Verkehr in den Städten in Zukunft noch zu bewältigen.
Gegen Auflockerung und Gliederung wurde Verflechtung und Verdichtung gesetzt: Urbanität durch Dichte hieß ab Ende der fünfziger Jahre das neue Leitbild, welches zu Stadterweiterungen wie dem Märkischen Viertel und der Gropius-Stadt in Berlin, Neuperlach in München oder Mettenhof in Kiel führte. Mitte der fünfziger Jahre begann ein Stadtumbau und Stadtausbau, der in seiner Größenordnung nur mit der intensiveren Verstädterungsphase in der Gründerzeit im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts verglichen werden kann. Im Gegensatz zum bisherigen stetigen Wachstum der Städte im Laufe der Zeit, das zu einem bunten Nebeneinander unterschiedlicher architektonischer Ausdrucksformen, Stilrichtungen und Nuancen geführt hatte, entstanden nun innerhalb weniger Jahre ganze Stadtviertel mit bis zu 20.000 standardisierten Wohnungen. Sie wurden jeweils durch wenige Wohnungsbauunternehmen mit dem Einsatz von maschinell vorgefertigten Bauteilen errichtet, was zu einer Uniformität der Gebäude führte, die den neuen Quartieren von ihren Kritikern bald die Bezeichnung "Retortenstädte" einbrachte. Diese Entwicklung begann Mitte der fünfziger Jahre und die letzten Bauprojekte wurden Mitte der siebziger Jahre fertiggestellt, wobei die größten Projekte in die zweite Hälfte diese Phase fallen. Die Siedlungen zeichnen sich durch eine hohe Geschossigkeit der Gebäude aus, die im Falle der Gropius-Stadt bis zu 30 Geschosse erreichten. Die Bebauungshöhe variiert zwischen sechs bis zwölf Geschossen, wobei die Siedlungen mindestens ein höheres Punkthochhaus aufweisen.
Diese am Rand des bisherigen städtischen Siedlungsgebietes neu entstandenen Stadtteile besaßen meist nur eine reine Wohnfunktion. Trotz aller Bemühungen durch die Ansiedlung von kulturellen, sozialen und Versorgungseinrichtungen eine emotionale Bindung der Bewohner zu ihrem Stadtteil zu schaffen, fehlte der gewachsene kulturelle und gesellschaftliche Hintergrund. Die in vielen Untersuchungen geäußerte Zufriedenheit der Bewohner sowohl mit ihrer Wohnung als auch mit dem Wohnumfeld, beruht darauf, daß die Wohnwünsche in hohem Maße durch die eigenen Wohnverhältnisse bestimmt werden und selten über das selbst erlebte hinaus reichten.
1970-1979
Anfang der siebziger Jahre wurden die "Grenzen des Wachstums" durch das Gutachten des Club of Rome absehbar. Die Bedrohung der Umwelt wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der politischen Diskussion. Außerdem forderten die Bürger mehr Beteiligungsmöglichkeiten bei den für sie relevanten Entscheidungen im kommunalen Bereich. Insbesondere durch die umfangreichen Sanierungsmaßnahmen dieser Zeit wuchs die Notwendigkeit, die Bewohner einzubeziehen. Bei den Stadtplanern und Politikern entstand der Wunsch, durch eine wissenschaftliche Planung Fehler, wie sie in der Vergangenheit gemacht worden waren, zu vermeiden. "Die Ziele der Planung, das Verfahren, die Kosten und die Zeit der Durchführung sollten benennbar und fixierbar sein. Die wünschenswerte Entwicklung sollte aus den vorhandenen Daten analysiert, das künftige Ziel optimiert und mit den vorhandenen Ressourcen erreicht werden."
Zu den ökonomischen Problemen der BRD in den späten sechziger und in den siebziger Jahren kam die stagnierende Bevölkerungsentwicklung insgesamt sowie der Bevölkerungsrückgang in den Städten durch die zunehmende Suburbanisierung. Als die Hauptursachen für diese Entwicklung werden die Unzufriedenheit mit der eigenen Wohnung und dem Wohnumfeld in der Stadt sowie der Wunsch nach dem Eigenheim angeführt.
"Die Symptome Lärm, Luftverschmutzung, Wasserverunreinigung, Verödung der Innenstädte, Bedrohung der Vitalsituation, Verlust der Individualität und Heimatqualität ließen die städtebaulichen Visionen von gestern uninteressant werden." Eine erste Reaktion der Stadtplanungsämter auf den Attraktivitätsverlust ihre Städte bestand in der Sanierung ganzer Stadtteile, die den Abriß der bestehenden Gebäude und den Neubau von Hochhäusern vorsahen. Dies provozierte den Protest der Anwohner, die sich zu Bürgerinitiativen zusammenschlossen, um ihre Interessen zu vertreten. 1971 forderte der Deutsche Städtetag: "Rettet unsere Städte".
Als Reaktion auf die bisher angestrebte neue, moderne Stadt folgte die Rückbesinnung auf die alten Elemente und Strukturen des Städtebaus. Nach einer kurzen Phase der Flächensanierung wurden die erhaltende Stadterneuerung und die Postmoderne in Architektur und Städtebau zum Leitbild. Die Ziele der Stadtentwicklung wandelten sich: an die Stelle von Abriß und Neubau trat nun die Pflege und Aufwertung der vorhandenen Bausubstanz. Alte Quartiere wurden nicht mehr abgerissen und durch neue ersetzt, sondern die Gebäude wurden instandgesetzt und modernisiert und - wo notwendig - durch angepaßte Neubauten ergänzt. Die schon Ende der sechziger Jahre begonnene Sanierungswelle in der BRD erhielt mit dem 1971 in Kraft getretenen Städtebauförderungsgesetz neuen Auftrieb. "Sanierungen vieler kleiner, mittlerer, aber auch größerer Stadtzentren gerieten mustergültig und zeigten eine Revitalisierung der Städte und auch des urbanen Lebens, die man Anfang der sechziger Jahre kaum für möglich gehalten hätte."
Aber auch diese Entwicklung wurde stark kritisiert. "Seit den siebziger Jahren mehren sich die Zeugnisse von Bemühungen, sich an das vertraute Stadtbild der Vergangenheit anzulehnen und dabei auch zu Maßnahmen zu greifen, die vorher kaum als annehmbar gegolten hätten: zur Kopie längst dahingegangener Gebäude oder - noch bedenklicher - zu Bauten, die sich an die Vergangenheit anbiedern."
Die Diskussion über den Schutz der Umwelt führte im Verlauf der siebziger Jahre zu der Vorstellung von einer Stadt im Gleichgewicht mit der Umwelt. "Rückblickend kann man sagen, daß die Geschichte und die Natur als städtebauliches Leitbild die Phase der Urbanität und Verdichtung abgelöst haben." Die Zahl der Wohnungsneubauten ging in den siebziger Jahren, bedingt durch die stagnierende Bevölkerungsentwicklung, erstmals in der BRD zurück. Diese Entwicklung hielt bis zum Ende der achtziger Jahre an.
Das städtebauliche Ziel der fünfziger und sechziger Jahre, eine autogerechte Stadt zu schaffen, wich der Erkenntnis, daß der weiter expandierende Verkehr in der Stadt nur durch das Zusammenwirken der verschiedenen Verkehrsträger verträglich abgewickelt werden kann und hierzu eine exakte Bedarfsplanung notwendig ist. "Man forderte nicht mehr die absolute Erreichbarkeit jeden Punktes der Stadt mit dem Auto. Der öffentliche Raum wurde für den Fußgänger wiederentdeckt."
1980-1999
Der allgemeine Wohnungsmangel galt vorerst als beseitigt. Jedem Haushalt standen im Durchschnitt 1,03 Wohnungen zur Verfügung. 1984 standen in der BRD 370.000 Wohnungen leer, davon 265.000 länger als drei Monate.
"Im Laufe der achtziger Jahr wurden dann im Städtebau die Ziele der Stadterneuerung, der Stadtökologie und - unter dem Eindruck der Wirtschaftsverhältnisse - der Stadtökonomie bedeutsam." Stadterneuerung umfaßt das Feld der Innenentwicklung der Städte mit Mitteln wie Wohnumfeldverbesserung, Verkehrsberuhigung, Stadtgestaltung, Modernisierung, Flächenrecycling, Revitalisierung von Brachflächen, Umnutzung oder Wiedernutzung aufgelassenener Industrie- und Gewerbeflächen.
Ziel im Aufgabenbereich Stadtökologie ist es, die Umweltsituation in den Städten durch die Zusammenarbeit in den Bereichen Grün- und Freiflächenplanung, Verkehrsplanung, Bodenschutz, Wohnungsbau usw. zu verbessern. Die Stadtökonomie hat die Aufgabe, die Standortqualitäten zu verbessern, um die Kommune als Gewerbestandort attraktiv zu erhalten und für neue Betriebe attraktiv zu machen.
Anfang der neunziger Jahre wurde der Wohnungsbau unter dem Eindruck der wieder steigenden Bevölkerungszahlen stark forciert. In den Jahren 1990 bis 1996 wurden in den alten Bundesländern rund 2,8 Millionen Wohnungen fertiggestellt. In den neuen Bundesländern sind in dem gleichen Zeitraum etwa 440.000 Wohnungen errichtet worden. Es gilt aber nicht nur das quantitative Problem des Wohnungsbedarfs zu lösen, sondern auch die städtebaulichlichen Qualitäten im Wohnungs- und Siedlungsbau zu sichern und weiterzuentwickeln. Der große Wohnungsbedarf führt zu Planungen von Siedlungserweiterungen in der Größe der Großwohnsiedlungen der sechziger und siebziger Jahre. Bei diesen Planungen müssen aber die Fehler, die dort gemacht worden sind, vermieden und neue Lösungen entwickelt und umgesetzt werden.
Text: Stefan Ebeling - Lizenz: Proprietaer