Vierter Gesang
Aber ängstliche Sorgen nahmen [25] die tiefsinnige Nymphe ein, und geheime Leidenschaften arbeiteten in ihrer Brust. Nicht junge Könige, wenn sie lebendig im Treffen gefangen werden, nicht spröde Jungfrauen, die ihre Reizungen überleben, nicht eifrige Liebhaber, die aller ihrer Glückseligkeit beraubt sind, nicht alte Frauenzimmer, wenn ihnen ein Kuß versagt wird, nicht trotzige Tyrannen, die ohne Reue sterben, nicht Cynthia, wenn ihre Schärpe schief gesteckt ist, empfindet solche Wuth, Rachbegierde und Verzweiflung, als du, traurige Schöne! um dein geraubtes Haar!Denn in dem traurigen Augenblick, da die Sylphen sich entfernen, und Ariel weinend von Belinden hinweg flohe, stieg Umbriel, ein stäubigter, melancholischer Geist, wie jemals einer das schöne Gesicht des Tages befleckt hat, in die centralische Erde, seinen eigenen Schauplatz, hinab, die finstere Höhle der Milzsucht zu suchen.
Schnell flatterte der Gnom auf seinen rußigten Schwingen fort, und erreichte in einem Dunste die schwarze Wohnung. Diese traurige Gegend kennet keinen erfrischenden West, der fürchterliche Ost ist der einzige Wind, der hier bläset. Hier seufzet auf ewig die Milzsucht in einer Grotte, die vor der Luft dicht verschlossen; und vor dem verwünschten Schimmer des Tages im Schatten versteckt ist, auf ihrem melancholischen Bette. Die Melancholie stehet an ihrer Seiten, und das Kopfweh zu ihrem Haupte.
Zwey Kammermädchen warteten um den Thron auf: gleich am Rang, aber in Gestalt und Gesicht sehr unterschieden. Hier stand die Bosheit, in Gestalt eines alten Mädchens. Ihr verschrumpfter Körper in schwarz und weiß gekleidet; ein Gebetbuch für den Morgen, den Mittag, und die Nacht, füllet ihre Hand; ihren Busen Lästerungen.
Dort zeget die Affectation, mit einer kränklichen Mine, Rosen von achtzehn Jahren auf ihren Wangen; bald übet sie sich, zu lispeln, und den Kopf auf die Seite zu hängen; bald fällt sie in Ohnmacht, sich Anstand zu geben, und stellet sich mit Stolz matt; bald sinket sie mit anständiger Schwäche auf die reiche Matratze. Um krank zu scheinen, und um sich zu zieren, hat sie sich in ein Oberkleid eingehüllet. Die Schönen empfinden eben diese Krankheiten, so oft ihnen eine jede neue Nachtkleidung eine neue Unpäßlichkeit giebet.
Ein beständiger Nebel flieget über dem Palaste. Wunderliche Phantomen steigen mit dem Nebel auf; schrecklich, wie Träume eines Eremiten [26] im Schatten voller Erscheinungen, oder schön glänzend, wie Gesichter sterbender Nonnen. Bald feurige Feinde, und Schlangen, die sich in Kreisen winden; blaße Gespenster, offene Gräber, und purpurrothes Feuer: bald Seen von flüßigem Golde, elysäische Scenen, und krystallene Schlösser, und Engel in Maschinen. Unzählbare Haufen von Körpern siehet man da an allen Seiten, die die Milzsucht in mannichfaltiger Gestalten verwandelt hat. Hier stehen lebendige Theetöpfe, mit einem Arm ausgestreckt, dem andern gebogen, dieser der Handgriff, jener die Pfeife. Dort gehet ein kleiner Topf, wie Homers Dreyfuß;|
[27] hier seufzet ein irdenes Geschirr, und dort redet [28] eine Ganspastete. Männer gehen mit Kindern schwanger, wie die mächtige Einbildungskraft will, und Mädchen in Flaschen verwandelt, rufen laut um Körke.
Sicher gieng der Gnom durch diese phantastische Schaar, mit einem Zweige von heilsamen Milzkraut in der Hand. Darauf redete er die Göttin also an: - Heil dir! störrische Königin: die die Schönen von funfzehn bis zu funfzig beherrschet! Mutter der Dünste und des weiblichen Witzes, die den histerischen oder den poetischen Paroxismus ertheilet, auf verschiedene Gemüthsarten durch verschiedene Mittel würket, eine bewegt, Arzney einzunehmen, andere Luftspiele zu schmieren; die die Stolze antreibt, ihre Besuche zu verschieben, und die Andächtige aus Verdruß in die Kirche sendet. Es lebet eine Nymphe, die deine ganze Macht verachtet, und noch tausend andere in einer gleichen Aufgeräumtheit erhält. Aber, wenn jemals dein Gnom eine Reizung verderben, oder in einem schönen Gesichte eine Finne aufgehen lassen, die Wangen der Matronen so gelb wie Citronenwasser machen, oder beym Verlust eines Spieles eine gesichtsfarbe verändern konnte; wenn ich jemals mit emporragenden Hörnern Stirnen bepflanzet, oder Unterröcke kraus gemacht, oder Betten durchwühlet, oder einen Argwohn verursachet habe, wenn keine Seele unruhig war; oder wenn ich das Kopfzeug einer Spröden in Unordnung brachte, oder jemals einen verstopften Schooshund krank machte, den nicht die Thränen der schönsten Augen gesund machen konnten, so höre mich, und laß Belinde verdrießlich werden. Diese einzige Handlung giebt der ganzen Welt die Milzsucht.
Die Göttin scheinet mit einer unzufriedenen Gebärde zu versagen, ob sie gleich seine Bitte erhöret. Mit beyden Händen bindet sie einen wunderbaren Sack zusammen, gleich dem, worin ehemals Ulysses die Winde verschlossen hielt. In diesen sammelt sie die Kraft der weiblichen Lungen, Seufzer, Schluchzen und Zorn, und den Krieg der Zungen. Hierauf füllet sie eine Flasche mit ohnmächtiger Furcht, süsser Betrübniß, schmelzendem Kummer, und fliessenden Thränen. Der frohe Gnom nimmt ihre Geschenke an, breitet seine schwarzen Flügel aus, und steiget langsam zu dem Tag hinauf.
In Thalestris Arme gesunken fand er die Nymphe, mit niedergeschlagenen Augen, und aufgelöstem Haare. Gerade über ihren Häuptern zerreisset er den geschwollenen Sack, und alle diese Furien stürzen sich aus dem Risse. Belinde brennet von mehr, als sterblichen Zorn, und die trotzige Thaleristris fachet das aufgehende Feuer an. O unglückliches Mädchen! schreyet sie, und breitet ihre Hände aus, (indem Hamptons Echo, unglückliches Mädchen! antwortet,) hast du deswegen dir beständig so viele Mühe gemacht, Haarnadel, Kamm und Essenzen bereit zu halten? deswegen deine Locken in papierne Gefängnisse gezwungen, deswegen sie mit folternden Eisen rund umher gekräuset? hast du deswegen mit Binden deinen zarten Kpf gepresset, und tapfer die doppelten Gewichte von Bley getragen? Götter! soll der Räuber deine Haar zur Schau zeigen, daß es Dumköpfe beneiden, und Frauenzimmer angaffen? Das verhüte die Ehre! vor deren Altare unser ganzes Geschlecht der Ruhe, dem Vergnügen und der Tugend entsaget. Mich dünkt, ich sehe schon deine Thränen, ich höre schon das Schreckliche, was sie sagen, sehe schon, wie manch dich als ein schlechtes Frauenzimmer entehret, und wie alle deine Ehre in einem leisen Geflister verlohren geht! Wie soll ich alsdenn deinen hülflosen Ruhm vertheidigen? Ein Schimpf wird es seyn, für deine Freundin angesehen zu werden! Und soll dieser Preis, dieser unschätzbare Preis, unter einem Krystall den anstarrenden Augen ausgesetzt, und durch den Kreis von strahlenden Demanten verschönert, in dieser Räuberhand beständig glänzen! Ehe soll im Hydepark Gras wachsen, und gelehrte in dem Getöse von Bow ihre Wohnungen nehmen; ehe soll Erde, Luft und Meer in ein Chaos fallen, und Männer, Meerkatzen, Schoßhünde und Papagoyen, alles zu Grunde gehen!
Sie sagte es, und eilete im Eifer zu Sir Plume, [29] und hieß ihrem Stutzer die kostbare Locke zurückfordern. Sier Plume prahlte eben mit seiner Tabacksdose von Bernstein, und spielte mit dem gewölkten Rohr. Mit ernsthaften Augen, und mit rundem, gedankenlosem Gesichte eröfnete er erst die Tabacksdose, dann sein Gewerbe, und brach also aus - Milord, wie, zum Teufel? Pfui! verwünscht sey die Locke! zum Henker, du mußt artig seyn! Verflucht! Spasse nicht länger! Ich bitte dich, gieb mir das Haar! - So sprach er, und schlug auf seine Dose.
Es ist mir sehr leid, antwortete der Baron, daß derjenige, der so schön redet, umsonst reden soll. Bey dieser Locke, [30] (welche niemals wieder mit dem Haare verbunden, wovon sie getrennet ist, und niemals wieder die Zierde des liebenswürdigen Kopfes seyn soll, worauf sie noch jüngst wuchs, und wovon sie geschnitten ist:) bey dieser heiligen Locke schwöre ich, daß sie dieser Hand, welche sie gewann, so lange als meine Nasenlöcher den lebendigen Athem schöpfen, beständig tragen soll. Er sagts, und hielt, indem er es sagte, den Schmuck ihres Hauptes, den Vorwurf so vieler Streitigkeiten, in die Höhe.
Aber Umbriel, ein zanksüchtiger Gnom, ist noch damit nicht zufrieden. Er zerbricht die Flasche, woraus die Betrübniß fliesset. [31] Und siehe, die Nymphe erscheinet in schöner Traurigkeit; halb sind ihre Augen voll Sehnsucht, halb mit Thränen überschwemmt. Auf ihren empor gestiegenen Busen hing ihr gesenktes Haupt, welches sie mit einem Seufzer aufrichtete, und also sprach:
Auf ewig verflucht sey dieser verwünschte Tag, der meine beste, meine liebste Locke hinweg nahm! Glücklich, ach! zehnmal glücklicher wäre ich gewesen, wenn diese Augen Hamptons Hof niemals gesehen hätten! Doch ich bin nicht das erste betrogene Mädchen, welches die Liebe zum Hofe zu tausend Unglück verleitete. O! wäre ich lieber unbewundert in einer öden Insel, oder in einem fernen nördlichen Lande geblieben; wo die güldene Carosse nimmer den Weg zeichnet, wo niemand Lomber lernt, niemand jemals Thee schmeckt! Hätte ich dort meine Reizungen vor sterbliche Augen verborgen, wie Rosen, die in Wüsten blühen, und sterben! Was bewegte meine Seele, mit jungen Lords herum zu schwärmen? O wäre ich heim geblieben, und hätte ich mein Gebeth zu Hause verrichtet! Dieses war es, was diesen Morgen die Vorzeichen mir zu sagen schienen; dreymal fiel die Muschenbüchse aus meiner zitternden Hand. Das wankende Theegeschirr wurde, ohne einen Wind, erschüttert; ja Poll saß stumm, und mein Hund war boßhaft! Zudem warnte mich noch ein Sylphe für die Drohungen des Schicksals in mystischen Träumen, denen ich jetzt zu spät glaube! Siehe die elenden Überbleibsel dieses beschimpften Haars! Meine Hände sollen diejenigen zerreissen, die selbst deine Räubereyen geschonet haben! Diese, die sonst in zwey schwarze Locken zu fallen pflegten, gaben vormals dem scheeweissen Halfe neue Schönheiten. Nun sitzet die verschwisterte Locke traurig allein, und siehet in dem Schicksale ihrer Gespielin ihr eigenes Voraus. Sie hänget ungekräuselt, fordert die verderbende Scheere, und versuchet noch einmal deine räuberische Hand. O wärest du, Grausamer, zufrieden gewesen, Haare zu rauben, die nicht so sehr ins Gesicht fallen, oder alles andere Haar, ausser diesem!
[25]
At regina gravi "c. Virg. Aen IV.
[26]
Schrecklich, wie die Träume ec. Durch diese Vergleichung wollte der Dichter sagen, daß die Versuchungen derer, die sich in der römischen Kirche kasteyen und absondern, und die Gesichter ihrer weiblichen Heiligen, eben sowol Wirkungen hypochondrischer Krankheiten, der Milzsucht, oder wie es die Mode damals nannte, der Papeurs sind, als alle diese Verwandlungen, davon er hernach redet.
[27]
S. Homers Iliade, XVIII.
[28]
Zielet auf eine wahrhafte Geschichte; ein Frauenzimmer vom Stande bildete sich ein, daß sie sich in diesem Stande befinde.
[29]
Sir Georg Brown. Er war der einzige in der Gesellschaft, der die Sache auf einen ernsthaften Fuß nahm. Es verdroß ihn, daß der Dichter ihn nichts, als Unsinn sagen ließ; und die Wahrheit zu gestehen, man hatte nichts auf ihn zu sagen.
[30]
Bey dieser Locke ec. Anspielung auf den Eid des Achilles beym Homer.
[31]
Diese beyden Zeilen sind hinzugesetzt; und geben die Ursache von der verschiedenen Wirkung auf die Leidenschaften der beyden Frauenzimmer an. Das Gedicht ging sonst ohne diesen Unterschied, und ohne Maschine bis ans Ende des Gesanges fort.
Text: Alexander Pope - Lizenz: Public Domain