Rußland
Ich grüße dich, du Land der eis'gen Steppen,Mit deinen Völkern, rauh und starr und roh,
Wo sie die Unschuld zum Polarkreis schleppen,
Wo noch Gewalt des Übermaßes froh.
Wohl weiß ich, was du drohst: du drohst mit Banden,
Wohl weiß ich, was du willst: du willst die Welt;
Und dennoch Heil mit dir und deinen Landen,
Greif zu! schlag los! zertrümmre, was dich hält!
Dort, wo des Bospors ätherblaue Wogen
Durch reiche Ernten fluten ohne Saat,
Wo sich des Überflusses Horn gebogen
Hinlegt um Konstantinus' goldne Stadt,
Dort letz dich hin in deiner Tierheit Fülle,
Frohlockend ob der spätgelungnen That,
Und fletsche deiner Zähne Reihn und brülle,
So oft ein Störer sich dem Raube naht.
Nicht, daß ich Gutes dir und Frohes gönnte,
Ich hasse deiner Räuberbande Brauch,
Und möchte dich vernichten wenn ich könnte,
Könnt' deine Gegner ich vernichten auch.
Denn sie, die Widersacher und Genossen,
Die gleiche Lust mit gleichem Kitzel neckt,
Im kleinen Quäler, wie du Scherg' im großen,
Sie brauchen einen Mächt'gen, der sie schreckt.
Als noch der Mann, dem nun die grünen Gräser
Auf Helena die Schlummerstätte baun,
Als er noch stand, der Allmacht Zornverweser,
Da waren sie wie Lämmer anzuschaun.
Da krochen sie um des Gewalt'gen Füße,
Da lechzten sie nach Freiheit und nach Licht;
Da boten sie der Menschheit: Freundesgrüße,
Nicht nur das Recht, auch göttlich schien die Pflicht.
Doch als erfüllt das Maß von Gottes Zorne
Und der Titan, nicht ihnen, Gott verfiel,
Vergaßen sie das heilig laut Beschworne
Und setzten gleiche Frevel sich zum Ziel.
Die Not vorbei, war auch vorbei das Beten,
Der Regenmantel wich der warmen Zeit,
Die Zwerge lockt's, des Riesen Spur zu treten,
War klein die Kraft, war das Gewissen weit.
Und, Pfennige der umgemünzten Krone,
Bezahlten sie in gleichem harten Geld,
Dem Zutraun ward des Treubruchs Spott zum Lohne,
Noch einmal dunkelt's in der lichten Welt.
Und nachten wird's, wenn nicht der Schreck vom neuen
Aus Drohenden sie zu Bedrohten schafft;
Wohlan denn: schreck sie du! laß sie bereuen,
Daß ihre Macht sie wähnten unsre Kraft.
Mach zittern auf den Häuptern ihre Kronen,
Verstärk den Übermut, der droht und schützt,
Nimm aus das Nest, wo ihre Jungen wohnen,
Daß Eigennutz sie lehrt, was allen nützt.
Doch merk, du gräbst das Grab dem eignen Reiche:
Denn, erst gestürtzt des Rechtes heilig Haus,
Ziehn wir einher als unsrer Führer Gleiche,
Und tilgen dich als letztes Unrecht aus.
Text: Franz Seraphicus Grillparzer - Lizenz: Public Domain