Alma von Goethe
Das hast du nicht gedacht, Gewalt'ger du,Als du noch weiltest in der Menschheit Schlacken,
Daß einst dein Enkelkind frühzeit'ge Ruh
Soll finden in dem "Lande der Phäaken".
Und daß der Mann, der schüchtern vor dir stand,
Den Blick gesenkt vorm hehren Strahl des deinen,
Am fabelgleichen fernen Isterstrand,
Bei ihrem offnen Grabe werde weinen.
Es kommt so manches anders, als man meint,
Und ist gekommen, warst du gleich der Weise;
Die Sonne, wenn sie hoch im Mittag scheint,
Senkt schon zu Untergang sich mählich leise.
Nach neuen Zonen wendet sich der Geist
Und läßt, was blank, in grauem Dunkel rosten,
Ist doch, was uns der ferne Westen heißt,
Für andre Völker auch zugleich ein Osten.
So drang dein Wort, so kam dein Enkelkind
In unsre Morgenrot-bestrahlte Fluren;
Hoch schlug mein Herz, verschönt, wie Weiber sind,
In ihr zu finden deiner Züge Spuren.
Und so trat ich, zu huld'gen, in den Saal,
Wo schon das Theegerät die Tische krönte,
Die Frau begrüßend, deines Sohnes Wahl,
Die dir des Lebens Abendrot verschönte.
Doch war kein weiblich Wesen sonst im Kreis,
Nur Herren, schwarz, als wär' ein Sarg zur Stelle;
Da öffnet sich die Thür', und hell und weiß,
Tritt kinderhaft das Mädchen auf die Schwelle.
Die ich gedacht mir in der Hoheit Schein,
Von angestammter Herrlichkeit erglänzend -
Ein Theebrett in den Händen trat sie ein,
Demütig Brot zum heißen Trank kredenzend.
Doch war's als ob den Erlenkönig gleich,
Des Ahnherrn Geist ob ihrem Scheitel schwebte,
Und sie, das Kind, dem Kind im Liede gleich,
Vorm Anhauch einer geist'gen Ladung bebte;
Wie an dem Eichstamm, den der Blitz geneigt,
Die Blume hell empor die Blätter richtet,
Als ob nicht dein Erzeugter sie erzeugt,
Als ob ihr Ahn sie Klärchen-gleich gedichtet.
Sie fühlte wohl den Wink der fernen Hand,
Die Sehnsucht nach dem Land der reinen Lilien,
Und ging dahin, so stamm- als wahlverwandt,
Verwaisend und verdoppelnd die Ottilien.
Du aber schaust mit ernstem Blick herab,
Wo sie der Grund, Beethoven nah, verschlungen,
Und sprichst kopfschüttelnd ob dem frühen Grab:
"Das war dir an der Wiege nicht gesungen!"
Text: Franz Seraphicus Grillparzer - Lizenz: Public Domain