Menü

www.solars.de → Kunst und Literatur → Gedichte → Goethe, Johann Wolfgang von

Das garstige Gesicht

Wenn einen würdigen Biedermann,
Pastorn oder Ratsherrn lobesan,
Die Wittib läßt in Kupfer stechen
Und drunter ein Verslein radebrechen,
Da heißts: Seht hier mit Kopf und Ohren
Den Herrn, Ehrwürdig, Wohlgeboren!
Seht seine Augen und seine Stirn;
Aber sein verständig Gehirn,
So manch Verdienst ums gemeine Wesen,
Könnt ihr ihm nicht an der Nase lesen.

So, liebe Lotte! heißts auch hier:
Ich schicke da mein Bildnis dir.
Magst wohl die ernste Stirne sehen,
Der Augen Glut, der Locken Wehen;
's ist ungefähr das garstge Gesicht -
Aber meine Liebe siehst du nicht.
Text: Johann Wolfgang von Goethe - Lizenz: Public Domain