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Napoleon

So stehst du still, du unruhvolles Herz.
Und bist gegangen zu der stillen Erde?
Was fünfzig Jahr voll Hoheit und Beschwerde,
Voll Heldenlust nicht gab und Heldenschmerz,
Ist dir geworden in der stillen Erde;
Ein Sohn des Schicksals stiegest du hinab,
Verhüllt wie deine Mutter, sei dein Grab.

Das Fieber warst du einer kranken Zeit,
Bestimmt vielleicht des Übels Sitz zu heben,
So flammtest du durchs aufgeregte Leben;
Doch wie des Krankenlagers Ängstlichkeit
Dem Fieber pflegt der Krankheit Schuld zu geben,
Schienst du der Feind allein auch aller Ruh,
Und trugst die Schuld, die früher war, als du.

Was sie gesündigt ohn' Unterlaß,
Was sie gefrevelt seit den frühsten Tagen,
Ward all zusammen auf dein Haupt getragen,
Du duldetest für alle aller Haß;
Dich ließen sie nach jenem Schimmer jagen,
In dem sich jeder selber gern gesonnt,
Wie du gewollt; nur nicht, wie du gekonnt.

Denn seit du fort, fließt nun nicht mehr das Blut,
In dem vor dir schon alle Felder rannen?
Ward Lohn den wider dich vereinten Mannen?
Ist heilig das von dir bedrohte Gut?
Ward Tyrannei entfernt mit dem Tyrannen?
Ist auf der freien Erde, seit du fort,
Nun wieder frei Gedanke, Meinung und Wort?

Dich lieben kann ich nicht! Dein hartes Amt
War: eine Geißel Gottes sein hiernieden;
Das Schwert hast du gebracht und nicht den Frieden;
Genug hat dich die Welt darob verdammt!
Doch jetzt sei Urteil von Gefühl geschieden;
Das Leben liebt und haßt, der Toten Ruhm
Ist der Geschichte heilig Eigentum.

Zum mind'sten wardst du strahlend hingestellt,
Zu kleiden unser Nacktheit ekle Blöße,
Zu zeigen, daß noch Ganzheit, Hoheit, Größe
Gedenkbar sei in unsrer Stückelwelt,
Die sonst wohl selbst im eignen Nichts zerflösse;
Daß noch die Gattung da, die, starker Hand,
Bei Cannä schlug, die Thermopylä stand.

Und so tritt hin denn zu der Helden Zahl,
Die annoch lebet auf der Nachwelt Zungen:
Zum Cäsar, der, mit tadelnswerter Wahl,
Am Rubicon der Herrschaft vorgedrungen,
Zum - Stellt kein Held sich mehr als Gleichnis ein?
Und ist man streng da, wo die Wahl so klein?

Geh hin und sag es an: "Der Zeiten Schoß,
Er bring' uns ferner: Mäkler, Schreiber, Pfaffen,
Denn ringt sich auch einmal ein Löwe los,
Er wird zum Tiger unter so viel Affen:
Wie soll er schonen, was hält länger Stich,
Wenn Niemand sonst er achten kann, als sich?" -

Schlaf wohl, und Ruhe sei mit deinem Tod,
Ob du die Ruhe gleich der Welt gebrochen;
Hat doch ein Höherer bereits gesprochen:
"Von anderm lebt der Mensch als nur vom Brot." -
Das Große hast am Kleinen du gerochen,
Und sühnend steh' auf deinem Leichenstein:
"Er war zu groß, weil seine Zeit zu klein."
Text: Franz Seraphicus Grillparzer - Lizenz: Public Domain