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Römische Nacht.

"Bringt Lichter her, des Dunkels spottet
Mit tausendfachem Kerzenschein,
Es sei der Trübsinn ausgerottet,
Mit Licht und Lied, mit Wahn und Wein!
Was soll der Sterne tote Pracht mir?
Ich will lebend'ger Flammen Pracht,
In Flammenfesseln schlagt die Nacht mir, -
Mein Herz hat seine eigne Nacht!

Greif' in die Saiten, blonder Knabe,
Nach Licht und Tönen bin ich krank,
Dein Blick ist Tag, dein Lied ist Labe,
Und grenzenlos, du weißt's, mein Dank.
Vom Brande Trojas will ich hören,
Des Glut den Sonnengott verlacht,
Das wird die Nacht um mich beschwören, -
Mein Herz hat seine eigne Nacht!"

Der Imperator spricht es, nieder
Sich lehnend auf des Lieblings Knie;
Dem reicht ein Kämmerling die Lieder,
Aus goldner Hülle löst er sie.
Und lächelnd führt er an die Lippen
Die stolzen Rollen des Virgil,
Dann tönt sein Vorspiel, wie um Klippen
Verlor'ner Wellen träumend Spiel.

Bald aber schwillt es wie vom Hange
Sich Wogen stürzen ungezählt,
Bis endlich sich der Flut Gesange
Des Worts lebend'ger Sturm vermählt.
Da stirbt das rythmische Gekose,
Das Schicksal ruft mit ehrnem Klang
Und durch Geschoß' und Schildgetose
Erdröhnt des Schlachtengottes Gang.

"Es wimmern Kinder, jammern Weiber,
Im Siegs-Festschritt das Unheil rennt
Hin über der Erschlag'nen Leiber,
Die Fackel fällt und Troja brennt.
Es stürzt die Stadt im Flammengrimme,
Die Götter ewig selbst geglaubt," -
Da plötzlich stockt des Lieblings Stimme,
Hinab zum Kaiser sinkt sein Haupt.

Die Lippe bäumt sich, wie zerschmettert
Von dem gewaltigen Gedicht,
Und wie der Thule Nordlicht wettert
Es durch das griechische Gesicht.
"Umsonst! Hier brechen meine Schwingen,
Sieh vor dem Dichter mich vergehn, -
Soll ich sein Lied dir würdig singen,
Muß ich erst Troja brennen sehn!"

Da zuckt es von des Weltherrn Stirne,
Es springt empor und ruft: "Es gilt!
Auf nach des goldnen Daches Firne,
Dein Wahnsinn, Knabe, sei gestillt!
Ist es der deine, ist's der meine,
Sind's Götter, die dich ihn gelehrt?
Was er auch sei, - ich weiß das eine:
Ein Wahnsinn ist's, der Götter wert!

Brandfackeln hier, und hier die Schale,
Und hier der Saiten goldnes Spiel, -
Brenn' Ilium denn zum zweiten Male,
Zum zweiten Male sing' Virgil!
Zum Rande füllet mir den Becher
Mit des Falerners Feuerstrom:
Ein Gruß von deinem Kaiserzecher,
Ein Gruß für dich, mein Troja-Rom!

Dir streuen Rosen meine Hände,
Wie Phaeton erschein' ich dir, -
Die Fackel fällt, - hah, mehr der Brände, -
Reicht Gluten, Flammen, Feuer mir!"
Und Brand auf Brand fährt zischend nieder
Auf Romas schlafgewiegte Brust,
Des Imperators weiche Glieder
Durchschaudert wilden Kitzels Lust.

Es reicht der Knabe ihm die Leier,
Und durch die Saiten rast ein Lied,
Wie zu der eignen Schrecken Feier
Es durch der Scylla Wirbel zieht.
Und während singend er die Leiter
Des Wahnsinns auf und nieder tobt,
Vollenden jubelnd die Begleiter,
Was seinem Liebling er gelobt.

Schon fängt es purpurn an zu steigen,
Aus Dampf und Qualm bricht glut hervor,
Es schürzt sich rings ein Flammenreigen
Und loht zum Firmament empor.
Es wimmern Kinder, jammern Weiber,
Und im Triumph das Unheil rennt
Hin über schon Erschlag'ner Leiber,
Glut fällt um Glut, und Roma brennt.

In Schutt und Trümmer stürzt gewitternd
Des Kapitols uralte Pracht;
Der Mond zerrint in Nebel, zitternd
Sinkt in ihr Flammenjoch die Nacht;
Zum Morgengruß aus feuchten Rohren
Hebt sich getäuschter Lerchen Chor
Und singt, als stieg' ein Heer Auroren
Aus Roms Zusammensturz empor.

Die Wogen wälzen sich im Tiber,
Wie flutgeword'ne Sonnen ziehn, -
Der Kaiser sieht's, und wie ein Fieber
Durchzuckt der einz'ge Anblick ihzn.
Er winkt, die Gondel wird bereitet,
Mit Rosen wird sie angefüllt,
Einsteigt er, und auf Purpur gleitet
Er jetzt von Rosen eingehüllt.

So flieht die Nacht, und leis' und leiser
Wiegt sich der Kahn, der Tag beginnt.
Selig ermattend spricht der Kaiser:
"Jetzt, sattes Auge, werde blind!"
Und müde dem Piloten winkend,
Läßt er das Steuer heimwärts drehn
Und flüstert, in die Rosen sinkend:
"Jetzt kann ich den Virgil verstehn!

Das dank' ich dir, mein blonder Knabe,
So nimm das Diadem von mir,
Das Prachtstück meiner Kaiser-Habe,
Aus meinen Locken lös' es dir.
Doch sanft, ganz sanft, daß nicht dein Scherz mir
Verstört des schönsten Bildes Pracht,
Und nicht zu früh das helle Herz mir
Rückfällt in seine alte Nacht!"
Text: Udo Brachvogel - Lizenz: Public Domain